Neues aus Gesetzgebung und Rechtsprechung: Arbeitsrecht-Newsletter April 2024

DANCKELMANN UND KERST-Partner Peter Kiesgen, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt für Arbeitsrecht, gibt einen Überblick über aktuelle Entwicklungen im Arbeitsrecht aus den Bereichen Gesetzgebung/Vorhaben und Rechtsprechung einschließlich Europarecht und Prozessrecht (Stand April 2024).

A. Gesetzgebung / Vorhaben:

Zwischenbericht zur Kontrolldichte der Länder auf dem Weg zur Mindestbesichtigungs­quote

Meldung des BMAS vom 09.01.2024

Mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz wurde erstmals eine Mindestbesichtigungsquote für die staatlichen Arbeitsschutzaufsicht von 5% aller Betriebe pro Jahr festgelegt. Diese gilt ab 2026, wobei die Länder bis dahin Schritte unternehmen, die Mindestbesichtigungsquote umzusetzen. Im Arbeitsschutzkontrollgesetz verpflichtet sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, im Jahr 2023 eine Zwischenauswertung der Kontrolldichte der Länder vorzunehmen.

Europa stimmt für Lieferkettenrichtlinie

Meldung  des BMAS vom 15.03.2024

Am 15. März 2024 haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union mehrheitlich für ein Lieferkettengesetz gestimmt, mit dem der Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Kindern vor Ausbeutung verbessert werden soll.

B. Rechtsprechung

1. Allgemein

Entgeltfortzahlung aufgrund einer SARS-CoV-2-Infektion und behördlicher Absonderungsanordnung

BAG, Urt. v. 20. März 2024 - 5 AZR 234/23, Pressemitteilung vom 20.03.2024

Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach § 3 Abs. 1 EFZG dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt, wenn es dem AN infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich ist, die geschuldete Tätigkeit bei dem AG zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommt.
Die SARS-CoV-2-Infektion stellt einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt. Die Absonderungsanordnung ist keine eigenständige, parallele Ursache für Arbeitsunfähigkeit, vielmehr beruht das daraus resultierende Tätigkeitsverbot gerade auf der Infektion (Monokausalität). Diese ist die nicht hinwegzudenkende Ursache für die nachfolgende Absonderungsanordnung. Aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion ist es dem AN rechtlich nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb zu erbringen (§ 275 Abs. 1 BGB).

Kein Indiz für das Vorliegen einer Einheit des Verhinderungsfalles bei fehlender Dienstplaneinteilung

LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. Februar 2024 – 4 Sa 32/23 –, Leitsatz

Liegen in einem Abrufarbeitsverhältnis zwischen bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeiträumen mehrtägige und nicht nur das Wochenende umfassende Zeiten ohne bescheinigte Arbeitsunfähigkeiten, so kann aus der bloßen Tatsache, dass in diesen Zeiten keine Dienstplaneinteilungen bestanden haben, kein Indiz für das Vorliegen einer Einheit des Verhinderungsfalls abgeleitet werden.

2. Europarecht

Auch befristet beschäftigte AN müssen über die Kündigungsgründe informiert werden.

EuGH, Urteil vom 20.02.2024 - Rs. C-751/20, Pressemitteilung v. 20.02.2024

Eine nationale Regelung, die vorsieht, dass nur Dauerbeschäftige über die Kündigungsgründe informiert werden, verstoße gegen das Grundrecht des befristet beschäftigten Arbeitnehmers auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Wenn der befristet beschäftigte Arbeitnehmer nicht über die Gründe der Kündigung seines Vertrags informiert werde, werde ihm eine Information vorenthalten, die für die Beurteilung von Bedeutung sei, ob die Kündigung ungerechtfertigt ist. Ihm fehle daher im Vorfeld eine Information, die für die Entscheidung über eine mögliche Klageerhebung ausschlaggebend sein könne. Eine solche nationale Regelung begründe somit eine für befristet beschäftigte Arbeitnehmer nachteilige Ungleichbehandlung. Der Gerichtshof stellt außerdem fest, dass die bloße temporäre Natur eines Beschäftigungsverhältnisses die schlechtere Behandlung befristet beschäftigter Arbeitnehmer nicht rechtfertige. Die mit dieser Form des Arbeitsvertrags verbundene Flexibilität werde durch die Mitteilung der Kündigungsgründe nicht beeinträchtigt.

Es sei jedoch Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob sich der befristet beschäftigte Arbeitnehmer im vorliegenden Fall in einer vergleichbaren Situation befinde wie ein Arbeitnehmer, der vom selben Arbeitgeber unbefristet eingestellt wurde.

Obwohl das nationale Gericht die volle Wirkung des Unionsrechts zu gewährleisten hat, sei es nicht per se verpflichtet, die nationale Bestimmung nur deshalb auszuschließen, weil sie gegen die Rahmenvereinbarung verstößt. In einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen könne die Rahmenvereinbarung, die im Anhang einer Richtlinie enthalten ist, nämlich nicht zur Anwendung kommen. Da die in Rede stehende Ungleichbehandlung jedoch das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verletze, das durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleistet wird, sei das nationale Gericht daher bei nicht möglicher unionsrechtskonformer Auslegung des nationalen Rechts verpflichtet, die in Rede stehende nationale Regelung soweit unangewendet zu lassen, als es erforderlich sei, um für die volle Wirksamkeit dieses Grundrechts zu sorgen.

Vorabentscheidungsersuchen: Kündigung wegen Kirchenaustritts

BAG, EuGH-Vorlage vom 01. Februar 2024, 2 AZR 196/22 (A), Leitsatz

Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV um die Beantwortung der folgenden Fragen ersucht:

  1. Ist es mit Unionsrecht, insbesondere der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG) im Licht von Art. 10 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta), vereinbar, wenn eine nationale Regelung vorsieht, dass eine private Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen beruht, von den für sie arbeitenden Personen verlangen kann, während des Arbeitsverhältnisses nicht aus einer bestimmten Kirche auszutreten oder den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses davon abhängig machen darf, dass eine für sie arbeitende Person, die während des Arbeitsverhältnisses aus einer bestimmten Kirche ausgetreten ist, dieser wieder beitritt, wenn sie von den für sie arbeitenden Personen im Übrigen nicht verlangt, dieser Kirche anzugehören und die für sie arbeitende Person sich nicht öffentlich wahrnehmbar kirchenfeindlich betätigt?
  2. Sofern die erste Frage bejaht wird: Welche gegebenenfalls weiteren Anforderungen gelten gemäß der RL 2000/78/EG im Licht von Art. 10 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 der Charta an die Rechtfertigung einer solchen Ungleichbehandlung wegen der Religion? 

Entschädigung wegen dauerhafter Arbeitsunfähigkeit eines Leiharbeitnehmers darf nicht niedriger sein als die Entschädigung eines vergleichbaren Arbeitnehmers des entleihenden Unternehmens.

EuGH, Urteil vom 22. Februar 2024 – Rs. C-649/22

Eine nationale Regelung, nach der die Entschädigung wegen dauerhafter vollständiger Arbeitsunfähigkeit von Leiharbeitnehmern infolge eines im entleihenden Unternehmen eingetretenen Arbeitsunfalls und damit einhergehender Beendigung ihres Leiharbeitsverhältnisses niedriger ist als die Entschädigung derer Arbeitnehmer, die von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz und für die gleiche Dauer eingestellt sind, verstößt gegen Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. f der RL 2008/104/EG.

Rechte von Teilzeitbeschäftigten bei der Überstundenvergütung

EuGH, Urteil vom 19. Oktober 2023, C-660/20 (Lufthansa CityLine)

Teilzeitbeschäftigte werden unzulässig benachteiligt, wenn sie Mehrarbeitszuschläge erst ab der gleichen Gesamtstundenzahl erhalten wie Vollzeitbeschäftigte.

3. Prozessrecht

Kein Gebührenwegfall und keine Gebührenermäßigung bei Versäumnisurteil in erster Instanz

LAG Nürnberg, Beschluss vom 17. Januar 2024 - 5 Ta 98/23, Leitsatz

Ergeht in einem arbeitsrechtlichen Rechtsstreit in erster Instanz ein Versäumnisurteil, kommt weder ein Wegfall der Gebühren nach KV-GKG Nr. 8210 Abs. 2 noch eine Gebührenermäßigung nach KV-GKG Nr. 8211 in Betracht.

Kein Vergleichsmehrwert bei Sprinter- oder Turboklausel

LAG München, Beschluss vom 24. Januar 2024 - 3 Ta 223/23, Leitsatz

Die Vereinbarung einer Sprinter- oder Turboklausel stellt keinen Vergleichsmehrwert dar.

Gegenstandswert für Anträge auf Auskunftserteilung nach § 15 DSGVO

LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 01.02.2024 - 26 Ta (Kost) 6095/23, Leitsatz

Der Auskunftsantrag nach Art. 15 DSGVO ist mit 500 Euro zu bewerten, wenn es um das reine Informationsinteresse geht. Das gilt auch für den Antrag auf Erteilung einer Auskunft bezüglich der durch den Arbeitgeber erfassten Arbeitszeit (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG). Auch insoweit geht es um einen nichtvermögensrechtlichen Anspruch. Die zu der Bewertung eines Antrags nach Art. 15 DSGVO entwickelten Grundsätze gelten entsprechend.

4. Sozialrecht

Homeoffice: Unfallversichert bei Heizkesselexplosion

BSG, Urteil vom 21.März 2024 - B 2 U 14/21, Pressemitteilung v. 21.3.2024

Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. In dem vorliegenden Fall wollte der Busunternehmer nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko.

5. Gleichbehandlung

Keine Diskriminierung Schwerbehinderter bei Nichteinstellung aus gesundheitlichen Gründen

ArbG Siegburg, Urteil vom 20. März 2024 - 3 Ca 1654/23, Pressemitteilung v. 26.3.2024

Widerruft ein AG im Öffentlichen Dienst seine Einstellungszusage aufgrund eines ärztlichen Attests, ist dies keine Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung. Eine diskriminierende Handlung und ein Verstoß gegen das AGG waren für das ArbG Siegburg nicht erkennbar. Der Kläger sei von der Beklagten wegen seiner Behinderung nicht schlechter behandelt worden als vergleichbare nichtbehinderte Bewerber. Die Stadt habe bei der Entscheidung, den Kläger nicht einzustellen, nicht auf seine Behinderung abgestellt. Vielmehr habe man den Kläger ungeachtet seiner Behinderung gerade einstellen wollen und ihm demgemäß eine Einstellungszusage erteilt, diese jedoch vom Ergebnis einer gesundheitlichen Eignungsuntersuchung bzw. seiner Eignung abhängig gemacht. Diese gesundheitliche Eignung sei dann von dem von ihr beauftragten Arzt verneint worden, woraufhin die Beklagte unter Berufung auf den zum Ausdruck gekommenen Vorbehalt ihre Einstellungszusage zurückgezogen habe.

Homeoffice: Unfallversichert bei Heizkesselexplosion

BSG, Urteil vom 21. März 2024 - B 2 U 14/21, Pressemitteilung v. 21.3.2024

Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. In dem vorliegenden Fall wollte der Busunternehmer nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko.

6. Direktionsrecht des Arbeitgebers

Pflicht des Arbeitnehmers zur Kenntnisnahme einer dienstlichen SMS in der Freizeit

BAG, Urteil vom 23. August 2023 – 5 AZR 349/22, Leitsatz

Ist dem Arbeitnehmer auf der Grundlage der betrieblichen Regelungen bekannt, dass der Arbeitgeber die Arbeitsleistung für den darauffolgenden Tag in Bezug auf Uhrzeit und Ort konkretisieren wird, ist er verpflichtet, eine solche, per SMS mitgeteilte Weisung auch in seiner Freizeit zur Kenntnis zu nehmen.

7. Urlaubsrecht

Urlaubsberechnung bei Überschneidung von Krankheit und Kurzarbeit

BAG, Urteil vom 05. Januar 2023 - 9 AZR 364/22, Leitsatz

Erkrankt der Arbeitnehmer in einem Zeitraum, für den – wirksam – Kurzarbeit „null“ eingeführt worden ist, sind die ausgefallenen Arbeitstage bei der Berechnung des Urlaubsumfangs nicht Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen.

8. Kirchliches Arbeitsrecht

Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen besonderer Art

BAG, Urteil vom 05. Oktober 2023 – 6 AZR 308/22, Leitsatz

Arbeitsvertragsrichtlinien als auf dem von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV geschützten Dritten Weg zustande gekommene kirchliche Arbeitsrechtsregelungen dienen der Verwirklichung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts. Sie sind daher Allgemeine Geschäftsbedingungen besonderer Art, die von staatlichen Gerichten nur darauf zu überprüfen sind, ob sie mit höherrangigem zwingenden Recht und den guten Sitten vereinbar sind.

9. Kündigungsschutz

Das Schwenken eines Filetiermessers als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung?

LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13. Juli 2023 - 5 Sa 5/23, Pressemitteilung v. 16.1.2023

Wer mit einem äußerst scharfen Filetiermesser hantiert, muss besonders sorgfältig agieren, um Verletzungen von Kollegen auszuschließen. Nicht jeder Fehlgebrauch rechtfertigt aber eine Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung.

Kündigung wegen Äußerungen in einer Chatgruppe

BAG, Urteil vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23, Pressemitteilung vom 24.08.2023

Ein Arbeitnehmer, der sich in einer aus sieben Mitgliedern bestehenden privaten Chatgruppe in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußert, kann sich gegen eine dies zum Anlass nehmende außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen.



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